Röntgenlaser filmt für das Molekül-Kino

Die genaue zeitliche Charakterisierung von Pulsen eines Freie-Elektronen-Lasers ermöglicht es, ultraschnelle Prozesse zu beobachten

18. November 2012

Chemische Reaktionen und die Bewegung von Atomen lassen sich künftig in Zeitlupe abbilden. Die Voraussetzung dafür hat jetzt ein internationales Forscherteam geschaffen. Die Physiker haben ein Messverfahren entwickelt, mit dem sie die Ankunftszeit und das zeitliche Profil der ultrakurzen Röntgenblitze eines Freie-Elektronen-Lasers genau bestimmen können. Solche Röntgenpulse können Prozesse filmen, die in einigen Femtosekunden ablaufen. Eine Femtosekunde ist eine billiardstel Sekunde (millionstel milliardstel Sekunde). Für die extrem hohe zeitliche Auflösung müssen Wissenschaftler jedoch auch das zeitliche Profil der einzelnen Röntgenblitze mit Femtosekunden-Präzision charakterisieren. Das ist der Gruppe um Adrian Cavalieri von der Max-Planck Forschungsgruppe für Strukturelle Dynamik am Hamburger Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) nun mit Pulsen von DESYs Freie-Elektronen-Laser FLASH gelungen. Die Technik kann an jedem Freie-Elektronen Röntgenlaser der Welt eingesetzt werden.

Die extrem hellen und ultrakurzen Röntgenpulse aus Freie-Elektronen-Lasern (FEL) bieten einzigartige Forschungsmöglichkeiten. Billionen von Photonen sind in einem Blitz gebündelt – einem Puls von höchstens einigen Dutzend Femtosekunden Dauer. Allerdings können sich die genaue Ankunftszeit und sogar das zeitliche Profil der FEL-Pulse enorm von einem Puls zum nächsten verändern. Um den Röntgenlaser zum „Filmen“ ultraschneller dynamischer Prozesse zu nutzen, muss die Ankunftszeit jedes einzelnen Pulses gemessen werden. Nur so lassen sich die Einzelbilder, die mit jedem Blitz aufgenommen werden, korrekt zeitlich ordnen.

Mit Hilfe eines präzisen Timings sind Femtosekunden-FEL-Röntgenpulse so kurz, dass Atome in Bewegung, chemische Reaktionen und Phasenübergänge in Materialien mit atomarer Auflösung im Femtosekundenbereich beobachtet werden können. Die gleichzeitige Messung des Puls-Profils bietet darüber hinaus die Möglichkeit, selbst Veränderungen während der Belichtung einzelner Bilder zu verfolgen. Auf diesen Zeitskalen sind bereits die Bewegung der Elektronen und die Dynamik der Elektronenzustände von Bedeutung. Die Dynamik der Elektronen kann etwa Biomoleküle schädigen und unter Umständen zerstören, noch bevor ein kristallklares Bild aufgenommen werden konnte.

Eine Salve von Photoelektronen enthüllt das Pulsprofil

Für ihre Messungen haben die Wissenschaftler die in der Attosekundenphysik (eine Attosekunde ist eine tausendstel Femtosekunde) angewandte Methode des sogenannten Photoelektron-Streaking adaptiert. Damit lassen sich Profile zeitlich variierender Lichtsignale aufzeichnen. Dank der enormen Intensität der FEL-Blitze konnten die Forscher diese Messungen bei FLASH sogar von einzelnen Pulsen durchführen. Dafür wurden die Röntgenblitze auf dem Weg zu ihrem Ziel durch Neon-Gas geschossen. Jeder Puls erzeugt eine Salve von Photoelektronen, die aus dem Edelgas herausgeschlagen werden. Das zeitliche Profil dieser Photoelektronen entspricht demjenigen des Pulses.

Mit einem elektromagnetischen Terahertz-Feld werden die Photoelektronen beschleunigt oder abgebremst – je nachdem, zu welchem Zeitpunkt sie emittiert wurden. Das wird mit Hilfe eines Flugzeit-Spektrographen aufgezeichnet. Sofern die genaue Form des Terahertz-Pulses bekannt ist, liefert die Kombination dieser Informationen das zeitliche Profil und die Ankunftszeit der individuellen Röntgenpulse mit einer Präzision von rund fünf Femtosekunden.

Künftig sollen Röntgenpulse maßgeschneidert werden

„Die gleichzeitige Messung der Ankunftszeit und des Pulsprofils, unabhängig von allen anderen FEL-Parametern, ist der Schlüssel zu dieser Technik“, erklärt Cavalieri, der Professor an der Universität Hamburg und Leiter der Max-Planck-Forschungsgruppe Strukturdynamik am CFEL ist. Bisher hat keine andere Technik diese vollständige Information über das Timing geliefert – genau diese Information ist jedoch entscheidend für die zukünftigen Anwendungsgebiete dieser einzigartigen Röntgenlichtquellen.

Die von der Forschergruppe veröffentlichten Messungen zur Puls-Charakterisierung stören die FEL-Blitze nicht – es gehen nur vernachlässigbar wenige Photonen bei der Erzeugung der Photoelektronen verloren. Daher kann die Technik im Prinzip in jedem Experiment bei nahezu jeder Wellenlänge angewendet werden. Bei FLASH wird die Methode künftig zur Überwachung und Korrektur der FEL-Pulsdauer für eine Vielzahl von Untersuchungen im Atom- und Molekülkosmos zum Einsatz kommen. In weiteren Experimenten planen die Forscher, diese hochpräzisen Messungen als Rückkopplung einzusetzen, um Röntgenpulsprofile maßschneidern zu können.

TZ/TM/PH

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