Stoff für die Technik von morgen

Das europäische Exzellenzzentrum NOMAD wird die Suche nach neuen Werkstoffen und bisher unbekannten Eigenschaften von Materialien vereinfachen

3. November 2015

Neue technische Entwicklungen beruhen praktisch immer auf besseren und oft genug auf völlig neuen Werkstoffen. Das gilt für die nächste Generation von Smartphones, spritsparende Autos oder starke Batterien für Elektromobile genauso wie für Katalysatoren zur Erzeugung von Methan oder flüssigen Brennstoffen und leistungsfähige Solarzellen. Für solch unterschiedliche Anwendungen die geeigneten Materialien aufzuspüren, soll dank des europäischen Exzellenzzentrums NOMAD (Novel Materials Discovery – Entdeckung neuartiger Materialien), das ab dem 1. November 2015 offiziell die Arbeit aufnimmt, leichter werden. Darin haben sich unter der Leitung von Matthias Scheffler, Direktor am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, Wissenschaftler von acht Forschungseinrichtungen und vier Hochleistungsrechenzentren aus ganz Europa zusammengeschlossen. Das Exzellenzzentrum wird im Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 der EU in den kommenden drei Jahren mit fünf Millionen Euro gefördert.

Rund 200.000 verschiedene Materialien sind heute bekannt, angefangen bei unzähligen Legierungen bis hin zu organischen Verbindungen wie etwa Polymeren und Hybridsystemen aus organischen und anorganischen Substanzen. Das ist aber nur ein Bruchteil aller möglichen Verbindungen. „Viele Materialien, die wissenschaftlich, aber auch technologisch interessant sein könnten, kennen wir noch gar nicht“, sagt Max-Planck-Direktor Matthias Scheffler. „Und auch bei den bekannten Materialien sind uns bislang viele spannende Eigenschaften verborgen geblieben.“ Das wollen er und die anderen Forscher des Exzellenzzentrums Nomad ändern, darunter auch Claudia Draxl, Professorin an der Humboldt-Universität Berlin und Max-Planck-Fellow am Fritz-Haber-Institut, Angel Rubio, Direktor am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg und Stefan Heinzel, Direktor der Max Planck Computing and Data Facility in Garching. Mit einem Workshop im Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin gaben sie dafür nun den Startschuss.

Den Grundstein für die Arbeit des europäischen Forschungsverbundes legt eine Datenbank namens Nomad-repository.eu (englisch für Depot), die nach Open-Access-Grundsätzen für alle nutzbar ist. Sie wird zurzeit unter der Federführung von Matthias Scheffler und Claudia Draxl mit Mitteln des Jahresspendenprojektes 2015 der Fördernden Mitglieder der Max-Planck-Gesellschaft aufgebaut. In der Datenbank legen Wissenschaftler aus aller Welt fundamentale physikalische Kenngrößen bekannter Materialien, die sie mithilfe quantenphysikalischer Methoden berechnet haben, und machen ihre Arbeit so für alle zugänglich, nachvollziehbar und für weitere Zwecke verwendbar.

Unbekannte Verbindungen als Vorschläge für spezielle Anwendungen

Die Datensammlung des Nomad-repository ist die Voraussetzung für die Arbeit des Nomad-Exzellenzzentrums. Dessen Forscher werden nun Software entwickeln, um aus den Rohdaten der quantenphysikalischen Rechnungen Informationen über Materialien zu gewinnen, die auch Anwender etwa aus der Industrie unmittelbar nutzen können. „Auf diese Weise wollen wir eine umfassende Enzyklopädie der Materialwissenschaft schaffen, die ebenfalls allen zur Verfügung steht“, sagt Matthias Scheffler.

Das virtuelle Nachschlagewerk wird aber nicht nur Auskunft über bekannte Verbindungen und deren bekannte Eigenschaften geben. Vielmehr soll es die Enzyklopädie möglich machen, einen bislang unbekannten Werkstoff mit den gewünschten Eigenschaften für eine spezielle Anwendung vorzuschlagen oder noch nicht entdeckte Eigenschaft bereits bekannter Materialien ans Licht zu bringen. Zu diesem Zweck werden die  Wissenschaftler des Nomad Konsortiums Methoden und Software entwickeln, die unter der Vielzahl der bereits bekannten Materialien Zusammenhänge zwischen Struktur und Eigenschaften erkennt. „Anhand dieser Trends soll die Software unter den unzähligen möglichen chemischen Kombinationen noch unbekannte Verbindungen vorschlagen, die für eine spezielle Anwendung in Frage kommen“, erklärt Matthias Scheffler.

Um die Daten von Quanten-Rechnungen aufzubereiten und auch um bislang unbekanntes Terrain der Werkstoffwissenschaften zu erkunden, verfolgen die Nomad-Forscher im Wesentlichen zwei Ansätze: Zum einen verwenden sie data mining Techniken, um in großen Datenmengen Muster zu erkennen. Dies ermöglicht Vorhersagen über bislang unbekannte Substanzen oder unbekannte Eigenschaften. Zum anderen entwickeln die Wissenschaftler maschinelle Lernverfahren, die etwa als compressed sensing bekannt sind, für die Materialwissenschaften weiter. Diese mathematische Methode  pickt unter den unzähligen Informationen der NOMAD-Datenbank diejenigen heraus, die für eine spezielle Analyse relevant sind. Dabei geht es um ein ähnliches Prinzip wie in Programmen, die Video- oder Audiodateien komprimieren.

Die Information soll visuell leicht nachvollziehbar sein

„Letztlich soll dann beispielsweise ein Anwender aus dem akademischen oder industriellen Bereich in einer Eingabemaske nur noch die gewünschten Eigenschaften eines Materials nennen, etwa einen Absorptionsbereich für eine Solarzelle, die natürlich auch robust sein und keine giftigen Elemente enthalten soll“, erklärt Matthias Scheffler. Die Enzyklopädie liefere dann chemische Verbindungen, die für den jeweiligen Zweck am besten geeignet sind. Die Nomad-Forscher werden darüber hinaus Programme entwickeln, die den Datenwust in dem Depot visuell so aufbereiten, dass Nutzer die Information, die in ihnen steckt, möglichst leicht nachvollziehen können. So sollen Anwender etwa visuell verfolgen können, wie ein Katalysator chemische Bindungen zu einem Reaktionspartner knüpft und löst.

Chemische Bindungen und generell das Verhalten der Elektronen in einem Material bestimmen dessen Eigenschaften. Die Nomad-Enzyklopädie wird also vor allem Informationen über die elektronische Struktur der bekannten Materialien enthalten, und zwar in riesigen Mengen. „Dank der Kombination von Big Data und neuer Software sollen Wissenschaftler und Ingenieure genau die materialwissenschaftlichen Informationen erhalten, die für sie relevant sind“, so Matthias Scheffler.

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