Resonanz mit Nachhall

Ein nicht-linearer Schwingungseffekt in Festkörpern könnte einen neuartigen elektrischen Schaltmechanismus ermöglichen

10. August 2011

Physikern bietet sich nun eine neue Möglichkeit, Keramiken und andere Kristalle zu manipulieren. Ein internationales Team um Wissenschaftler der Max-Planck-Forschungsgruppe für strukturelle Dynamik an der Universität Hamburg hat in einem Metalloxid mit einem sehr intensiven Infrarot-Laser zwei Kristallschwingungen ausgelöst, die üblicherweise völlig unabhängig voneinander stimuliert werden müssen. Der Laserpuls regt gewöhnlich nur eine Infrarot-Schwingung des Kristalls an. Da er aber so stark ist, zieht die von ihm ausgelöste, resonante Vibration eine Raman-Schwingung nach sich. Raman-Schwingungen werden normalerweise von sichtbarem Licht angestoßen, und zwar indirekt über die Verzerrung der Elektronenwolke. Der nicht-lineare Effekt, der die Kopplung der beiden Schwingungen ermöglicht und ionische Raman-Streuung heißt, weist einen Weg, solche Metalloxide willkürlich zwischen einem elektrisch isolierenden und einem leitenden Zustand hin und her zu schalten.

Es ist ein bisschen so, als würde ein Hund so heftig mit dem Schwanz wedeln, dass gleichzeitig seine Ohren wackeln. Was im Park vermutlich lustig aussieht, war in der Physik der Festkörper bislang nicht möglich. Zwar lassen sich mit infrarotem Licht in Kristallen aus polaren Bausteinen – etwa aus Metallen und Sauerstoff – Schwingungen anregen: Die Atome können in verschiedenen Richtungen periodisch ihren Abstand ändern, etwa nach oben und unten oder seitwärts, und sie haben zahlreiche Möglichkeiten sich zu verdrehen wie die Unruh einer Uhr. Aber: Licht einer Energie oder Farbe stößt gewöhnlich nur eine dieser Schwingungsmöglichkeiten an. Um im Hundebild zu bleiben: entweder Schwanzwedeln, Ohrenwackeln, oder auch Kopfnicken.

Physiker der Max-Planck-Forschungsgruppe für strukturelle Dynamik, die zum Center for Free Electron Laser Science an der Universität Hamburg gehört, und ihre japanischen sowie amerikanischen Kollegen haben nun in einer Keramik durch eine Schwingung, die sie mit einem Laserpuls im mittleren Infrarotbereich sehr stark angeregt hatten, eine weitere Schwingung in Gang gesetzt. Die Keramik besteht aus den Metallen Lanthan, Strontium, und Mangan sowie Sauerstoff und wird mit dem chemischen Kürzel La0,7Sr0,3MnO3 beschrieben.

„Möglich ist das nur mit einem sehr intensiven Laserpuls, dessen Frequenz auf die einer Infrarot-Schwingungs des Kristalls abgestimmt ist“, sagt Michael Först, der das Experiment gemacht hat: „Wir sprechen dann von einer resonanten Anregung.“ Und da der Puls sehr intensiv ist, schwingt der Kristall besonders heftig. So heftig, dass ein nicht-linearer Effekt auftritt. Das heißt: Der Laserpuls stößt nicht nur die Schwingung an, auf die er abgestimmt ist – so wie er das bei linearen Anregungen mit mäßig intensiven Pulsen tut. Vielmehr zieht er eine zweite Schwingung mit. Der nicht-lineare Effekt, der dem zugrunde liegt, heißt ionische Raman-Streuung und wurde bereits vor 40 Jahren theoretisch vorausgesagt. Bis vor kurzem gab es jedoch keine Laser, die stark genug waren, ihn zu bewirken.

Raman-Streuung tritt gewöhnlich in Molekülen oder Kristallen auf, die sich nicht direkt durch die elektromagnetischen Felder einer Lichtwelle zu Schwingungen anregen lassen, weil sie nicht polar sind. Denn nur wenn die Atome eines Materials verschieden starke elektrische Ladungsanteile besitzen, bilden sich Dipole, die Schwingungen der elektromagnetischen Lichtwellen aufnehmen können. Fehlen die Dipole, kann Licht jedoch Elektronenwolken des Materials verzerren, weil auch diese sensibel auf das elektromagnetische Lichtfeld reagieren. Diese polarisierten Elektronenwolken ziehen die Atomrümpfe dann hinter sich her. Dabei verändert sich die Energie oder Wellenlänge des eingestrahlten Lichtes genau um den Betrag, der in die Schwingung fließt.

Eine ungewöhnliche Änderung der Leitfähigkeit lässt sich nun erklären

„Auch bei der ionischen Raman-Streuung wird die zweite Schwingung indirekt angeregt“, erklärt Michael Först. „Aber nicht durch eine polarisierte Elektronenwolke, sondern durch die erste Schwingung, die wir mit dem Puls des sehr starken Infrarot-Lasers stimuliert haben.“

Damit das funktioniert, darf das Material nicht wie ein einfacher Kochsalz-Kristall gebaut sein, in dem die Ionen ein Gitter mit der Symmetrie eines Würfels bilden. „Unser  Lanthanstrontiummanganat besteht aus Oktaedern, die mit ihren Spitzen aufeinander stehen, aber leicht gegeneinander verkippt sind“, sagt Michael Först. Mit dem intensiven Infrarot-Puls stoßen er und seine Mitarbeiter eine Schwingung an, bei der die übereinander getürmten Oktaeder auseinandergezogen werden. „Weil die Auslenkung dieser Schwingung durch die resonante Anregung extrem groß ist, zieht die sehr starke Schwingung eine zweite Schwingung mit anderer Symmetrie mit“, so Först. Im Experiment seines Teams drehen sich dabei jeweils zwei übereinander getürmte Oktaeder im entgegengesetzten Drehsinn um ihren gemeinsamen Berührungspunkt.

Mit der Beobachtung der ionischen Raman-Streuung haben die Hamburger Forscher nicht nur eine experimentelle Herausforderung gemeistert. Für Physiker ist das Experiment auch interessant, weil solche nicht-lineare Phänomene von den korrekten, nämlich nicht-linearen, physikalischen Gesetzen zeugen, denen viele Vorgänge in der Welt folgen. Diese Gesetze lassen sich oft näherungsweise zu einer linearen Form vereinfachen. Für das Hookesche Gesetz, das die Schwingung einer Feder beschreibt, gilt das ebenso wie für viele Gesetze in der Optik. Die Nicht-Linearität kommt dabei oft nur unter schwierig zu gewährleistenden Bedingungen zum Vorschein, die meist mit besonders großen Kräften oder starken Feldern zu tun haben.

Die Hamburger Physiker erhoffen sich von ihren Erkenntnissen aber auch einen praktischen Nutzen. „Die ionische Raman-Streuung erklärt uns eine Beobachtung, die wir vor einigen Jahren gemacht haben“, sagt Andrea Cavalleri, der Leiter der Forschungsgruppe. Er und seine Mitarbeiter hatten den elektrischen Isolator Lanthanstrontiummanganat mit intensiven Infrarotpulsen zu einem elektrischen Leiter gemacht: Das elektrische Feld des Lichtes verschob die Atome des Kristalls so, dass die Elektronen auf einmal gut durch sie hindurch flutschen konnten.

Was die Forscher zunächst nicht verstanden: Das Material leitete den Strom auch noch gut, wenn der Laser abgeschaltet war. Die ionische Raman-Streuung hilft ihnen nun bei der Erklärung. „Die starke Schwingung, zu der wir den Kristall zunächst anregen, bringt diesen über die ionische Raman-Streuung in einen metastabilen Zustand“, so Cavalleri: Der Kristall hält die Struktur, in der er den Strom leitet, zumindest eine Zeit lang für seinen Ruhezustand und verharrt in diesem. Irgendwann, wann genau bestimmen die energetischen Verhältnisse in dem Material, kehrt er in den isolierenden Zustand zurück.

„Da wir den Anregungsprozess jetzt verstehen, finden wir vielleicht auch einen Weg, das Material durch eine weitere nicht-lineare Schwingungsanregung willkürlich vom leitenden zurück in den isolierenden Zustand zu schalten“, sagt Michael Först. „Das wäre wichtig, um die optisch induzierte Änderung der Leitfähigkeit für elektronische Bauteile auszunutzen.“

PH

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