Lichtinduzierte magnetische Wellen in atomar maßgeschneiderten Materialien

Wissenschaftler erforschen grenzflächenüberschreitende, ultraschnelle Kontrolle von Magnetismus

Eine neue Studie zeigt auf wie die schlagartige Anregung von Gitterschwingungen in einem Kristall die magnetischen Eigenschaften einer atomar dünnen Schicht, die auf seiner Oberfläche aufliegt, verändern kann. Eine Gruppe von Forschern unter der Leitung von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Struktur und Dynamik der Materie am CFEL in Hamburg, der University of Oxford und der Université de Genève entdeckte mit Hilfe von extrem kurzen Röntgenpulsen eines Freie-Elektronen-Lasers, dass die vorhandene magnetische Ordnung in der dünnen Schicht zunächst an ihrer Grenzfläche zum Substrat „aufschmilzt“ und sich dieses Schmelzen auf ultrakurzen Zeitskalen fortschreitend in das Innere des Films ausbreitet. Die Ergebnisse sind online in der Fachzeitschrift Nature Materials vorgestellt.

Übergangsmetalloxide wie Manganite, Kuprate oder Nickelate haben unter Wissenschaftlern sehr viel Aufmerksamkeit erregt, da ihre elektrischen und magnetischen Eigenschaften bereits durch kleinste Veränderungen äußerer Parameter wie Temperatur und elektrische oder magnetische Felder verändert werden können. „Aber es gibt auch eine starke Korrelation zwischen der Anordnung der Atome im Kristallgitter und diesen Eigenschaften, so dass gezielte Strukturveränderungen es ermöglichen, den elektronischen und magnetischen Zustand dieser Materialien zu manipulieren“, sagte Michael Först, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut und einer der federführenden Autoren dieser Arbeit.

In den letzten Jahren haben Forscher begonnen sogenannte Heterostrukturen zu untersuchen, die aus verschiedenen Oxidmaterialien aufgebaut sind. Die Eigenschaften eines atomar dünnen Oxidfilms auf einem Substrat können  sich stark von denen des gleichen Materials als Volumenkörper unterscheiden. Dies liegt an verschiedensten Grenzflächeneffekten, unter anderem an der mechanischen Verspannung, die zwischen dem Substrat und dem Film entsteht. Dies macht Heterostrukturen aus diesen komplexen Materialien zu einem vielseitigen Werkzeug, um Eigenschaften von Materialien und Bauelementen maßzuschneidern. „In der vorliegenden Arbeit haben wir die Möglichkeit untersucht, die Eigenschaften eines dünnen Films dynamisch zu kontrollieren, indem wir die atomare Struktur des Substrats mit Licht verändert haben“, sagte Andrea Caviglia, der mittlerweile am Kavli Institute of Nanoscience an der TU Delft tätig ist.

Bei sehr tiefen Temperaturen ist Neodymnickelat (NdNiO3) ein antiferromagnetischer Isolator, d.h. die Spins der Valenzelektronen ordnen sich in einem antiparallelen Muster an, so dass sich keine makroskopische Magnetisierung ergibt. Oberhalb der Temperatur von 200 K wird dieses Material ein Metall und gleichzeitig verschwindet die antiferromagnetische Anordnung der Spins. Wenn ein NdNiO3-Film epitaktisch auf ein Lanthanaluminat- (LaAlO3-)Substrat aufgewachsen wird, führen die leicht unterschiedlichen Gitterkonstanten der beiden Materialien zu einer statischen Verspannung innerhalb des Films, die zu einer Verringerung der Isolator-Metall-Übergangstemperatur von 200 K auf etwa 130 K führt.

Interessanterweise können die elektrischen Eigenschaften des NdNiO3-Films auf ultraschnellen Zeitskalen verändert werden, indem Gitterschwingungen im LaAlO3-Substrat angeregt werden. Dies wurde in einer früheren Veröffentlichung der Hauptautoren in der Fachzeitschrift Physical Review Letters gezeigt. „In jenem Experiment hat ein Laserpuls mit einer Wellenlänge von 15 µm, also im mittleren Infrarotbereich, eine Schwingungsmode im Substrat ausgelöst. Im Nickelatfilm haben wir dann eine drastische Veränderung der elektrischen Leitfähigkeit beobachtet, indem wir die Reflektivität der Probe mit einem Terahertz-Puls, das heißt mit einem Puls im Ferninfrarotbereich, vermessen haben“, sagte Caviglia.

In der aktuellen Arbeit untersuchte die Gruppe welchen Effekt diese Substratanregung auf die magnetischen Eigenschaften des Nickelatfilms hat. Um diese Veränderungen mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung zu messen, verwendete das Team die sogenannte zeitaufgelöste Röntgenbeugung an der Linac Coherent Light Source (LCLS), einem Freie-Elektronen-Laser am US-Forschungszentrum SLAC in Kalifornien. Die Femtosekunden-Röntgenpulse der LCLS werden von dem Film gebeugt und tragen mit einem Zeitstempel versehene Signaturen der Spin-Anordnung des Materials, welche von den Physikern dann benutzt wurden, um die räumlich-zeitliche magnetische Dynamik zu rekonstruieren.

Zunächst fanden die Wissenschaftler, dass die magnetische Ordnung auf der Zeitskala weniger Pikosekunden schmilzt, d.h. auf derselben Zeitskala wie der bereits früher beobachtete Isolator-Metall-Übergang. Dies suggeriert, dass die beiden Prozesse zusammenhängen.

„Noch bemerkenswerter ist aber die Beobachtung des Beugungsexperimentes, dass das magnetische Schmelzen im Nickelat örtlich begrenzt an der Grenzfläche zum Substrat beginnt und sich von dort, vergleichbar mit einer Welle, in den NdNiO3-Film hinein ausbreitet“, sagte Först. „Die hohe Geschwindigkeit, mit der sich diese Wellenfront ausbreitet, legt nahe, dass diese Dynamik durch lokale Veränderungen der elektronischen Struktur an der Grenzfläche angetrieben wird“, fügte er hinzu.

Tatsächlich wird dieses Bild von einem theoretischen Modell unterstützt, dass die Erzeugung frei beweglicher Ladungsträger an der Heterogrenzfläche durch die Gitterschwingungen des Substrats annimmt. Diese Ladungen bringen wahrscheinlich die antiferromagnetische Ordnung durcheinander während sie sich in den Film hinein ausbreiten.

Diese Arbeit wurde durch den ERC Synergy Grant “Frontiers in Quantum Materials’ Control” (Q-MAC) ermöglicht, welcher Wissenschaftler der zu Beginn genannten Forschungseinrichtungen zusammenbringt. Weitere beteiligte Institutionen sind die Diamond Light Source, das Brookhaven National Laboratory, das Lawrence Berkeley National Laboratory, das Stanford Linear Accelerator Center und die National University of Singapore. Das CFEL ist eine Kooperation von DESY, Max-Planck-Gesellschaft und Universität Hamburg.

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