Verdrehte MoS2-Schichten lassen neuartige Materiezustände entstehen

Ein Forschungsteam aus Deutschland, China und den Vereinigten Staaten hat entdeckt, dass zwei aufeinander verdrehte Schichten aus MoS2 zur Steuerung der kinetischen Energieskalen in Festkörpern verwendet werden können. Die Forscher zeigen, dass die Elektronen in MoS2 nicht nur die elektronischen Eigenschaften des Materials kontrollieren, sondern auch destruktiv interferieren können, wodurch ihre Bewegung entlang bestimmter Pfaden zum Stoppen kommt. Durch diese Eigenschaft lassen sich exotische magnetische Zustände erzeugen. Die Arbeit von Forschern des Max-Planck-Instituts für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) in Hamburg, der RWTH Aachen, der Universität zu Köln, des Songshan Lake Materials Laboratory, des Center for Computational Quantum Physics in New York und der University of Pennsylvania ist in Nature Communications erschienen.

Zweidimensionale (2D-) Materialien, die in einem bestimmten Winkel aufeinandergelegt sind (bekannt als „verdrehte van der Waals-Materialien"), haben in den letzten Jahren die Forschung an kondensierter Materie revolutioniert. Je nach dem relativen Verdrehungswinkel bilden die Kristallgitter ein größeres Interferenzmuster: Ein so genanntes Moiré-Muster, das die elektronischen Wellenfunktionen in Festkörpern verändern kann. „Diese verdrehten Materialien sind faszinierend, da sich mit ihrer Hilfe neuartige elektronische Eigenschaften mit noch nie dagewesener Flexibilität herstellen lassen", erklärt Lede Xian, der Hauptautor der Studie. „Das liegt daran, dass der Verdrehungswinkel eine effektive Möglichkeit bietet, die Beweglichkeit der Elektronen einzuschränken." Kürzlich wurde dieser Effekt erfolgreich eingesetzt, um eine durch den Verdrehungswinkel gesteuerte Supraleitung, isolierendes Verhalten und sogar noch exotischere Phänomene wie anomale Quanten-Hall-Phasen zu demonstrieren. Dieser Forschungsdurchbruch hat eine Vielzahl von Arbeiten zum faszinierenden Thema der Entwicklung neuartiger Festkörpereigenschaften durch Verdrehung ausgelöst, von denen viele am MPSD entstanden sind.  

Nun hat das internationale Forschungsteam jedoch ein neues zweidimensionales Material ins Rampenlicht gerückt: MoS2. „Das Neue und Überraschende an verdrehtem MoS2 ist, dass die Quanteninterferenz die elektronischen Eigenschaften von Festkörpern noch weiter verändern kann", sagt Dominik Kiese, Doktorand an der Universität zu Köln. „Wir haben herausgefunden, dass zumindest für bestimmte elektronische Zustände die Bewegung der Elektronen in verdrehtem MoS2 so interferieren kann, dass sie sich fast gar nicht mehr bewegen." Zusätzlich zur Verdrehung selbst bietet dieser neue Effekt weitere technische Möglichkeiten. Er ähnelt dem Verhalten in prototypischen Modellen wie dem Lieb-Gitter, welche in der Vergangenheit große Aufmerksamkeit erregt haben, bislang in Festkörpern jedoch nur schwer zu realisieren waren. Indem man die Verdrehung der MoS2-Schichten ausnutzt und sie in einen von Korrelationen dominierten Zustand versetzt, erhält man Zugang zu neuartigen Materiezuständen wie zum Beispiel exotischen Arten des Quantenmagnetismus. Wie das Forschungsteam gezeigt hat, bietet dies einen neuartigen Weg für die Erzeugung elektronischer Eigenschaften. 

„Wir haben gezeigt, dass Moiré-Engineering genutzt werden kann, um eine auf Festkörpern basierende Plattform für eine weitere Klasse von prototypischen Modell-Hamiltonians zu schaffen", sagt Dante Kennes, Professor an der RWTH Aachen. Angesichts der Fülle von Materialien, die zur Auswahl stehen, gibt es noch viele neuartige Effekte zu entdecken, fügt MPSD-Theory-Direktor Angel Rubio hinzu: „Diese Materialien sind so vielseitig und weisen sehr unterschiedliche Arten von elektronischen oder strukturellen Eigenschaften, Wechselwirkungen oder Spinbahnkopplungsskalen sowie Gittergeometrien auf, dass wir eindeutig erst am Anfang einer langen und aufregenden Reise stehen, um ihr volles Potenzial zu erforschen. Die Arbeit des Teams ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg."

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht