Leichterer Zugang zu Simulationen verschafft mehr Zeit für die Physik

Die zunehmende Nutzung von Simulationswerkzeugen in der rechnergestützten Wissenschaft wirft die Frage auf, wie diese zugänglicher und leistungsfähiger gestaltet werden können. Typischerweise liegt dabei das Hauptaugenmerk auf einer verbesserten Ausführungsgeschwindigkeit. Nun hat ein Forschungsteam aus Deutschland und Großbritannien die Schnittstelle zwischen Forschenden und der Software in Angriff genommen und einen Arbeitsablauf entwickelt, der es Forscher*innen ermöglicht, viel weniger Zeit mit der Syntax und den Dateiformaten des Simulationspakets zu verbringen und sofort mit den Daten zu arbeiten. Ihre Arbeit wurde in der Zeitschrift IEEE Transactions on Magnetics veröffentlicht.

Das Team des Max-Planck-Instituts für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) in Hamburg, Deutschland, des Imperial College London und der University of Southampton (UK) nutzte für seine Studie die Mikromagnetik als Anwendungsbereich. Der allgemeine Arbeitsablauf ist dabei identisch mit computergestützten Simulationsverfahren in vielen anderen Bereichen und besteht aus den folgenden Schritten:

    1.   Entscheidung: Welches Problem muss gelöst werden?

    2.   Übersetzung des physikalischen Problems in eine Syntax, die vom Simulationswerkzeug verstanden wird (häufig eine Konfigurationsdatei oder ein Skript).

    3.   Ausführung der Simulation, um die Ergebnisse zu berechnen und in Dateien zu speichern.

    4.   Lesen, Analysieren und Visualisieren dieser Dateien zur Erstellung von Tabellen und Diagrammen.

    5.   Zusammenfassung und Niederschrift der Ergebnisse und Erkenntnisse in einem wissenschaftlichen Manuskript oder technischen Bericht.

In diesem Prozess können die Schritte 1 bis 4 iterativ viele Male wiederholt werden.

Simulationspakete werden in verschiedenen Programmiersprachen geschrieben, wobei oft eine Sprache für den versteckten Teil der Software, der das numerische Problem löst, und eine andere Sprache oder Syntax für die Problemdefinition und die Benutzerschnittstelle kombiniert werden. Die Nutzer*innen eines solchen Pakets müssen zumindest die Syntax für die Problemdefinition verstehen, da Schritt 2 des Arbeitsablaufs die Übersetzung des physikalischen Problems in die Syntax des Simulationstools erfordert.

Für die Datenanalyse und -visualisierung in Schritt 4 des Arbeitsablaufs müssen Forschende im Allgemeinen die vom Simulationspaket verwendeten Dateiformate und -konventionen verstehen, um die Ausgabedateien lesen zu können und durch Datenanalyse Forschungsergebnisse zu erhalten.

Bei der Überprüfung der Arbeitsschritte stellte das Team fest, dass Wissenschaftler*innen die Funktionen, Installation, Konfiguration, Benutzerschnittstellen und Dateiformate des von ihnen verwendeten Simulationspakets (in den Schritten 2 und 4) verstehen müssen. Dieser Lernprozess wiederholt sich für jedes verwendete Simulationstool. Der Gesamtaufwand und die Komplexität dieses Einarbeitungsprozesses verlängern sowohl die Lernkurve als auch den Zeitaufwand für den Einsatz von Simulationssoftware in der Wissenschaft.

Um diesen Prozess zu vereinfachen, entwickelte das Team einen verbesserten Arbeitsablauf für mikromagnetische Simulationen (implementiert in Ubermag), der diese Lernschwelle verringert. Der verkürzte Gesamtprozess macht solche Studien aus einer nutzerzentrierten Perspektive effektiver und benutzerfreundlicher.

Hauptautor Marijan Beg erklärt: „Wir haben einen Weg gefunden, die Schritte 2 und 4 zu vereinfachen. Statt das Rechenproblem in die Syntax des Simulationspakets übersetzen, beschreiben die Forschenden das Rechenproblem in einer maschinenlesbaren, aber vom Simulationswerkzeug unabhängigen Weise. Die Übersetzung dieser Problemstellung (Schritt 2) erfolgt dann automatisch durch unsere Ubermag-Software. Auch das Einlesen der Simulationsergebnisse (Schritt 4) wird von der Ubermag-Software erledigt, sodass der oder die Forschende sich sofort auf die Arbeit mit den Daten konzentrieren kann - anstatt sich erst um das korrekte Einlesen der Tool-spezifischen Ausgabedateien der Simulation kümmern zu müssen.“

Hans Fangohr, Initiator des Projekts und koordinierender Autor, sagt: „In konzeptioneller Hinsicht führt Ubermag eine maschinenlesbare Definition eines mikromagnetischen Problems und eine Abstraktionsschicht über bestehenden Simulationswerkzeugen ein. Die numerische Lösung des Problems wird durch die automatische Übersetzung der Problemdefinition in die simulationsspezifische Konfigurationssyntax und die anschließende Ausführung der Rechnung an ein vorhandenes Simulationspaket delegiert.“

Der vereinfachte Arbeitsablauf wird es mehr Wissenschaftler*innen ermöglichen, Simulationen durchzuführen, fügt Martin Lang, Mitautor und leitendes Mitglied des Ubermag-Softwareteams, hinzu: „Da Simulationswerkzeuge zunehmend als Ergänzung zu Experimenten eingesetzt werden, gibt es eine große Anzahl von Nutzern, die weniger Zeit in das Erwerben spezifischer Computerkenntnisse investieren können. Gerade sie werden von dem vereinfachten Zugang zu einem Simulationswerkzeug profitieren, der es ihnen ermöglicht, sich auf die Physik zu konzentrieren, die sie interessiert - und nicht auf die Implementierungsdetails der von ihnen verwendeten Simulationswerkzeuge.“

Die Abbildung zeigt die von Ubermag eingeführten Vereinfachungen und Abstraktionen des Arbeitsablaufs in einem typischen Anwendungsfall - hier die Berechnung der Dynamik eines magnetischen Wirbels in einer ferromagnetischen Nanostruktur. Die gesamte Simulation kann von einem einzigen Jupyter-Notebook aus gesteuert werden, wie in der mittleren Spalte gezeigt. Der oder die Forscher*in definiert das physikalische Problem (Zelle 2) und das zu untersuchende System (Zelle 3). Beides kann direkt im Jupyter Notebook visualisiert werden, wie auf der linken Seite dargestellt. Ubermag kommuniziert intern mit einem Low-Level-Simulationstool (Zellen 3, 4 und Zelle 6), das in der rechten Spalte als autonomes Backend dargestellt ist, und liefert die Simulationsergebnisse in einem High-Level-Format (Zellen 5 und 7). Die grafische Darstellung der Simulationsergebnisse und die weitere Datenanalyse sind Teil des Notebooks. Das hier gezeigte Notebook ist eine vereinfachte und gekürzte Version eines Demonstrations-Notebooks, das unter https://ubermag.github.io/demo.html verfügbar ist.

Referenzen:

M. Beg, M. Lang und H. Fangohr, Ubermag: Toward More Effective Micromagnetic Workflows, in IEEE Transactions on Magnetics, vol. 58, no. 2, pp. 1-5, Feb. 2022, Art no. 7300205, doi: 10.1109/TMAG.2021.3078896.

Open-Source-Software Ubermag: https://ubermag.github.io/

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